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Martin Rupps: Alles oder nichts. Sieg oder Niederlage

Nie vorher und nie mehr danach wurde die Bundesrepublik Deutschland als freiheitlich-demokratischer Rechtsstaat so sehr herausgefordert wie im Terror-Jahr 1977. Mitglieder der linksterroristischen sogenannten Roten Armee Fraktion ermordeten bzw. entführten hohe Repräsentanten des Staates und ihre Begleiter, um die Führungsgruppe der ersten RAF-Generation und weitere Mitglieder aus deutschen Gefängnissen freizupressen. Ihre „Offensive 77“ erzeugte Angst und Schrecken in der Bevölkerung.


Am 5. September 1977 wurde Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer entführt und dabei sein Fahrer und zwei Polizisten kaltblütig erschossen. Am 13. Oktober 1977 kidnappten vier palästinensische Terroristen die Lufthansa-Maschine „Landshut“ auf ihrem Linienflug von Palma de Mallorca nach Frankfurt am Main. Sie wiederholten die Forderungen der RAF und verlangten zusätzlich die Freilassung von Landsleuten aus türkischen Gefängnissen.


Die Entführung sollte über 100 Stunden dauern und die Maschine bis nach Mogadischu, der Hauptstadt von Somalia am Horn von Afrika, bringen. Die Menschen in Deutschland, Europa und der Welt verfolgten den dramatischen Irrflug der „Landshut“ über Radio, Fernsehen und Presse mit. Der Papst bot sich zum Austausch für die Geiseln an. Die Terroristen, umfänglich auf ihre Aufgabe vorbereitetet, machten keine Zugeständnisse.


Tagsüber herrschte während der Entführungstage eine sengende Hitze, nachts bittere Kälte. Immer wieder kollabierten Geiseln. Andere verloren die Besinnung. Sie wollten plötzlich aussteigen, um nach Hause zu gehen oder zum Friseur.


Die hygienischen Zustände in der Maschine wurden mit jedem Tag unmenschlicher.

Die Toiletten waren verstopft, die Verrichtungen der Passagiere türmten sich auf. Man

konnte nur noch stehen. Urin und Menstruationsblut von Frauen, deren „Pille“ sich im

Koffer – sprich im unerreichbaren Gepäckraum – befand, flossen aus den

Toilettentüren den Gang entlang.


In der kleinen, engen, nur für die Kurzstrecke ausgelegten „Landshut“ quälte das

Terrorkommando die 82 Passagiere (44 Frauen, 32 Männer, sieben Kinder) und fünf

Besatzungsmitglieder (Pilot, Co-Pilot, Purserette, zwei Stewardessen) bis hin zur

Todesangst. Geiseln – darunter eine Mutter mit ihrem Sohn an Bord - mussten sich für

den kommenden Morgen „zu ihrer Erschießung“, so der Führer des Terrorkommandos,

melden. „Captain Machmud“, wie er von den Geiseln angesprochen wurde, setzte

immer wieder Crew-Mitgliedern und Geiseln seine Pistole an den Kopf. Auf dem

Flughafen Aden ermordete er Kapitän Jürgen Schumann vor Aller Augen.


Gefühlt keine Grausamkeit blieb den „Landshut“-Geiseln erspart. In Mogadischu

wurden sie kurz vor Ablauf des Ultimatums gefesselt und mit Alkohol übergossen,

„damit Ihr besser brennt“, wie eine der Terroristinnen sagte. Die jüngste Stewardess,

Gabriele Dillmann, durfte einen letzten Funkspruch an die Bundesregierung absetzen.

Sie flehte um die Freilassung der Terroristen in Deutschland, damit die Maschine nicht

gesprengt wird, und verabschiedete sich von ihrem Freund, dem Lufthansa-Piloten

Ruedeger von Lutzau – nicht ahnend, dass er als Co-Pilot die Lufthansa-Maschine mit

Staatsminister Hans-Jürgen Wischnewski nach Mogadischu gekommen war und im

Flughafengebäude um ihr Leben bangte. Nach der glücklichen Befreiung wird er ihr

einen Heiratsantrag machen und sie „Ja“ sagen.


Staatsminister Hans-Jürgen Wischnewski und Bundeskanzler Helmut Schmidt führten

Verhandlungen mit dem somalischen Präsidenten Siad Barre, der ursprünglich eigene

Einsatzkräfte in die Maschine schicken wollte, um die politische Souveränität seines

Landes zu wahren. Nach gutem Zureden und weitreichenden Zusagen lenkte Siad

Barre ein. Bundeskanzler Helmut Schmidt erteilte die Anweisung, dass Angehörige der

Grenzschutztruppe 9, einer Spezialeinheit des Bundesgrenzschutzes, die „Landshut“

stürmt. Sie war am Nachmittag - von den Terroristen unentdeckt, weil mit einer

Vollbremsung - in Mogadischu gelandet.


Es ging um Alles oder Nichts. Sieg oder Niederlage. Ein Showdown, wie ihn nur das

Leben selbst schreiben kann.


Ausgerechnet in der „Landshut“-Boeing hatte die GSG9 immer wieder die Stürmung

eines entführten Flugzeugs trainiert. Wegeners Männer kannten sich quasi blind in ihr

aus. Der stellvertretende GSG9-Kommandant Dieter Fox stürmte als Erster durch die

hintere Cockpit-Tür in die verdunkelte Maschine und schrie: „Köpfe runter, wo sind die

Schweine?“ Die Geisel Birgit Röhll, die in der letzten Sitzreihe saß, rief: „Im Cockpit!“

Dieter Fox und seine Kameraden eröffneten das Feuer. Wer noch stand – die

Terroristen und zum Glück keine Geisel – geriet in den Kugelhagel.


Bei der „Aktion Feuerzauber“ starben die beiden Terroristen und eine Terroristin. Die

zweite Frau überlebte schwerverletzt. Unter den Geiseln und Befreiern gab es mehrere

Verletzte, aber keine Toten.


Ein Wunder. Das Wunder von Mogadischu.


Die „Landshut“-Entführung war aus Sicht der palästinensischen bzw. deutschen

Terroristen gescheitert. Als die RAF-Führungsmitglieder in ihren Zellen in Stuttgart-

Stammheim aus einem eingeschmuggelten Radio davon erfuhren, begingen sie

Selbstmord. Gudrun Ensslin, Andreas Baader und Jan-Carl Raspe wurden am Morgen

tot aufgefunden, die weitere Terroristin Irmgard Möller überlebte schwerverletzt.

Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer wurde von seinen Entführern

erschossen. Sie warfen seine Leiche in den Kofferraum eines Autos und übergaben

sie der Polizei.


Historiker und Politikwissenschaftler sprechen vom Terror-Jahr 1977 als zweitem

Gründungsjahr der Bundesrepublik. Der Deutsche Herbst ist in der kollektiven

Erinnerung der Deutschen so gegenwärtig wie nur die „deutsche Revolution“ zwölf

Jahre später. Der Lernort „Wehrhafte Demokratie der Bundeszentrale für politische

Bildung wird in angemessener Weise an die damalige Bedrohung durch Terroristen

und ihre Opfer – wozu auch die befreiten „Landshut“-Geiseln zählen - erinnern.

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